Ein Artikel von Philipp von der Wippel (Gründer ProjectTogether) und Paul Kupfer (Mitgründer soulbottles)
Plastik ist eine immense Herausforderung
Keine Frage, Plastik war eine geniale Erfindung. Ob in der Medizin, bei Lebensmitteln oder im globalen Handel – ohne Plastik wäre ein großer Teil des Fortschritts und des Wohlstands der letzten Jahrzehnte nicht möglich gewesen. Somit steht Plastik für Fortschritt und Modernität. Doch gleichzeitig hat der Siegeszug des Plastikmaterials den müllbasierten Kapitalismus begründet und maßgeblich zur gegenwärtigen Wegwerfmentalität beigetragen. Das Ausmaß der Plastikproduktion ist ohne Bilder schwer vorzustellen: Die globale Plastikproduktion pro Jahr entspricht grob dem Gesamtgewicht aller lebenden Menschen (S.Laville/M.Taylor; The Guardian, 2017 ). In Deutschland produziert jede Bürger*in 455 Kilogramm Plastik pro Jahr (C.Baumermann/ F.Kuchlmayr; Der Spiegel, k.A., ).
Die positiven Eigenschaften von Plastik – wie beispielsweise seine Flexibilität, hoher Isolationswert, Leichtigkeit und vor allem seine lange Haltbarkeit – sind zugleich das Problem: es ist zum allgegenwärtigen Begleiter des Menschen geworden und hat viele nachhaltige Alternativen im Laufe der letzten Jahrzehnte ersetzt ohne eine gleichzeitige Mitentwicklung von nachhaltigen Entsorgungs- und Recyclingwegen. Der fehlerhafte Umgang mit Plastik führt zu dramatischen Schäden für Mensch und Natur.
Wenn wir die Mikroplastikpartikel addieren, die jeder Mensch in Deutschland durch Lebensmittel aufnimmt, dann verzehrt jeder von uns Plastik im Volumen einer Kreditkarte pro Woche (www.wwf.de/plastic-diet). Das Ausmaß der Konsequenzen ist bisher nicht absehbar, aber wissenschaftliche Studien finden Beweise für verheerende Schäden für die Gesundheit: Es gibt bekannte krebserregende Bestandteile in vielen Plastikarten, außerdem kann Plastik als endokrine Disruptoren hormonell auf den Körper wirken (Meeker, et al., 2009 & UNEP, 2008), somit sogar zu Verhaltensstörungen und Krankheiten führen. Außerdem beeinflusst Mikroplastik im Körper das Immunsystem, es kann die DNA verändern und zu erhöhtem Stress führen (EFSA, 2016 & Brown et al., 2001).
Der große Schaden für die Natur entsteht durch den verantwortungslosen Umgang mit Plastikmüll. Nur 14% des global produzierten Plastiks wird aktuell recycelt (University of Georgia & University of California). Pro Minute gelangt eine LKW-Ladung an Plastik ins Meer, auf ein Jahr gerechnet gelangen so 8 Millionen Tonnen an Plastik in die Ozeane. “Eine Million Meeresvögel und 100.000 Meeressäuger sterben jedes Jahr an Plastikmüll, hinzu kommen ungezählte Fische. Fische und Vögel fressen Plastikreste, die ihren Verdauungsapparat verstopfen, sodass sie verhungern.” (S. Brech; Welt, 2018,)
Verbote allein bringen wenig, wenn die konkreten Alternativen fehlen
Dass der Umgang mit Plastik so nicht weitergehen kann, ist inzwischen in der Gesellschaft angekommen. Jetzt zieht die Politik nach: Die EU hat beschlossen, bestimmte Plastik- und Styroporgegenstände ab 2021 zu verbieten. Ab 2030 sollen alle Kunststoffverpackungen auf dem EU-Markt recyclingfähig sein (dpa; ZEIT Online, 2018). Auch Umweltministerin Svenja Schulze plant ein Gesetz, um den Umgang mit Plastik verantwortungsvoller zu machen. Das ist ein wichtiger Anfang.
Das Plastikverbot von Ministerin Schulze und der EU gibt zwar eine Richtung vor, aber wird alleine nicht die Veränderung bringen, die das Plastikproblem braucht. „Denn verboten werden sollen nur jene Gegenstände, für die es bereits bessere Alternativen gibt.“ (dpa; ZEIT Online, 2018) Was bedeutet das im Klartext? Wenn keine neuen Konzepte und innovative Lösungen entstehen, die Plastik ersetzen und Kreisläufe der Plastikverwertung schließen, dann gibt es auch keine Verbote. Kurzum: Je mehr funktionierende Alternativen es gibt, die ohne Plastikmüll den gleichen Lebensstandard ermöglichen, desto mehr wird die Politik den Mut haben, durch Verbote und Subventionen diese nachhaltigen Alternativen immer mehr zum neuen Marktstandard zu machen.
Damit eine echte Veränderung im Umgang mit Plastik zustande kommt, reicht es also nicht mehr nur zu sagen, was wir nicht wollen. Vielmehr muss definiert werden, wie wir uns den Gebrauch von Plastik in Zukunft ganz konkret vorstellen – von der Entstehung des Materials bis hin zur Entsorgung und Wiederverwendung. Gegen Plastik zu sein ist einfach – aber die umweltfreundlichen Alternativen zu entwickeln, das ist kompliziert. Das „wie-stellen-wir-es-uns-stattdessen-vor“ können wir bei dem Thema Plastik weitestgehend noch nicht beantworten. Wenn wir das Plastikproblem aber ernst nehmen, müssen wir diese Frage schnellstmöglich beantworten.
Diese Aufgabe kann Ministerin Schulze nicht alleine erfüllen, und es ist vielleicht auch nicht ihre Aufgabe. Aktuell fehlt es trotz gesellschaftlichem Konsens über die Schwere des Problems an innovativen Ideen, systemischen Lösungen und Menschen, die diese aktiv vorantreiben und groß machen. Wer könnte besser für diese Aufgabe geeignet sein als junge, intrinsisch-motivierte, freidenkende und risikobereite Köpfe, die unterschiedlichste Lösungsansätze mit einer unternehmerischen Haltung testen? Die junge Generation zeigt Woche für Woche, dass reines Abwarten keine Option ist. Dabei gilt es im Angesicht der kurzen verbleibenden Zeit Innovationen schnell und pragmatisch auf den Weg zu bringen.
Wenn wir eine Lektion aus der innovationsgetriebenen Startup-Welt auf die Gesellschaft übertragen können, dann diese: Wo wir noch nicht wissen, wie wir ein komplexes Problem lösen können, ist das Testen und Validieren von vielen unterschiedlichen Lösungsansätzen der bessere Weg als aufwendiges Planen auf dem Papier. Testen ist das neue Planen.
In Einzelfällen passiert es bereits:
Milena Glimbovski hat mit Original Unverpackt den Lebensmittelhandel neu gedacht. Sie hat bewiesen, dass Supermärkte komplett ohne Einwegverpackungen funktionieren können. Mit Original Unverpackt ist Milena zu einer Vorreitern der Zero-Waste-Bewegung in Deutschland geworden: “Es braucht Geschäftsmodelle, die zeigen, dass das Gemeinwohl über Profite stehen kann, zugleich umweltfreundlich und trotzdem rentabel agieren können. So gestalten wir Wirtschaft neu.”
Wenig Produkte haben den Plastikkonsum in den vergangenen Jahren so stark reduzieren können wie das Social Startup soulbottles. Die hochqualitativen ästhetisch-designten Glasflaschen wurden als Alternative zu Plastikflaschen entwickelt. Seitdem wurden 730.000 soulbottles verkauft – sprich knapp 1% der deutschen Bevölkerung ist bereits auf Glasflaschen umgestiegen.
Original Unverpackt und soulbottles sind Vorbilder. Diese Beispiele zeigen uns, dass nachhaltige Alternativen nur dann entstehen, wenn innovative Köpfe den ersten Schritt machen. Denn erst wenn der plastikfreie Supermarkt wirklich eröffnet ist und die plastikfreie Flasche in Gebrauch ist, dann weitet sich die Vorstellungskraft der Gesellschaft und eine Nischen-Idee wird eine echte Alternative. Vormachen ist stärker als sagen.
Aber wenn wir einen systemischen Wandel im Umgang mit Plastik in allen Lebensbereichen und Industrien bewirken wollen, dann brauchen wir mindestens 100 dieser Lösungsansätze. Diese entstehen aber nicht von alleine. Paul Kupfer, Mitgründer von soulbottles, stellt klar: “Wir hätten den Start von soulbottles niemals ohne Hilfe hinbekommen. Das Plastikproblem ist viel zu groß und komplex.“
Deshalb haben soulbottles, Project Together und die Röchling Stiftung gemeinsam das innovative Förderprogramm “soulincubator” erschaffen und suchen bis zum 30.September 2019 nach Projektinitiator*innen, die sich mit dem globalen Plastikproblem befassen. Paul Kupfer (30), soulbottles Gründer: „Mit dem soulincubator wollen wir jetzt jungen Ideen helfen, den Anfang zu meistern.” Egal ob Alternativprodukte, Verbesserungen für Material und Infrastruktur, Recyclate oder öffentliche Aufklärungsarbeit: Das Programm fördert eine Vielfalt an Lösungsansätzen. Denn genauso vielfältig wie das Plastikproblem ist, so vielfältig müssen auch die Lösungen sein. Der soulincubator schafft ein attraktives Umfeld, in dem junge Visionär*innen unkomplizierten Zugang zu Wissen, einem Netzwerk und Ressourcen bekommen. Und das alles an einem Ort. Uwe Amrhein, Röchling Stiftung: „Denn ein echter Systemwandel ist mit neuen Ideen, Engagement und gutem Willen allein nicht zu schaffen. Gerade in einem so komplexen Themenfeld wie Kunststoff und Umwelt sind Kompetenz und die richtigen Methoden unabdingbar.“
Der soulincubator steht für ein neues Verständnis, wie Veränderung in der Gesellschaft entstehen kann. Gesellschaftlicher Fortschritt gelingt nicht mehr im Austragen von ideologischen Konflikten, sondern nur durch neuartige und mutige Kooperationen. Mutiges Kooperieren bedeutet für uns, die relevantesten Stakeholder eines Problems hinter eine gemeinsame Mission zu bringen und Ressourcen intelligent zu bündeln. Deshalb wächst das Konsortium an Partnern des soulincubators Woche für Woche. Wettbewerb und Abgrenzung war gestern – Kollaboration ist die Zukunft. Uwe Amrhein, Röchling Stiftung: “Mit seinesgleichen kooperieren kann jeder. Ob die globalen Herausforderungen und Krisen gelöst werden können, entscheidet sich nach unserer Überzeugung vor allem an der Frage, ob und wie Akteure aus unterschiedlichen Sphären zielgerichtet zusammenarbeiten.”
Der soulincubator ist die notwendige Konsequenz, wenn man das Plastikproblem ernst nimmt. Es gibt schlichtweg keinen Plan B. Deshalb müssen wir handeln, bevor es zu spät ist. Der soulincubator unterstützt junge Köpfe, die weder dem pessimistischen Realismus noch dem naivem Idealismus verfallen. Was es braucht, ist einen pragmatischen Idealismus: Die Überzeugung, dass der Umgang mit Plastik veränderbar und gestaltbar ist. Das Bewusstsein, dass Veränderung sehr komplex und nicht einfach ist. Der Mut einfach loszulegen und praktisch zu beweisen, dass eine nachhaltige Alternative wirklich möglich ist.
Warum ist der soulincubator für die Gesellschaft als Ganzes relevant? Das Thema Plastik eignet sich dazu, eine viel größere Frage zu beantworten: Wie gehen wir mit gesellschaftlichen Fragestellungen um, wo wir zwar schon wissen, was wir nicht wollen, aber noch nicht wissen, was wir in Zukunft wollen? Diese Frage wird nicht nur Plastik sondern alle Bereiche der Gesellschaft in den kommenden Jahren betreffen.
Am Thema Plastik können wir aber vormachen, wie Social Entrepreneurs neue Lösungen im Kleinen testen und validieren können, und wie diese Lösungsansätze auf das Große übertragen werden können. Sollten Gesetzgebungen in der Zukunft sich nicht darauf beziehen, was zuvor von Social Entrepreneurs in der Praxis entwickelt und gelernt wurde? Immerhin können wir als Bürgerinnen und Bürger mit gutem Recht von der Politik erwarten, dass sie uns das bestmögliche Angebot macht. Und das beste Angebot findet man bekanntlich ja erst, wenn man sich möglichst viele Alternativen angeschaut hat; und nicht wenn man den Status Quo von Vornherein als alternativlos verteidigt. Eine von Ashoka in Auftrag gegebene McKinsey Studie fand 2019: 18 Milliarden Euro könnten die Innovationen von Social Entrepreneurs dem öffentlichen Sektor jedes Jahr mindestens an Ausgaben sparen, wenn die im Kleinen erfolgreich getesteten Innovationen auf die politische Ebene übertragen werden würden. Unternehmen kooperieren mit Startups am laufenden Band. Aber wie können wir in der Gesellschaft testen? Das Thema Plastik kann als Blaupause für einen neuen Prozess dienen, wie innovative Köpfe der Politik helfen können, bessere und innovative Gesetzgebung zu entwickeln. Ministerin Schulze müsste die Gelegenheit nur nutzen.