„Die Verwaltung ist der beste Ort, um Veränderung umzusetzen.“

Tiaji Sio hat als Diplomatin im Auswärtigen Amt unter anderem in Shanghai, Berlin, Dakar, Maputo und Hanoi gearbeitet. Jetzt steigt sie bei ProjectTogether als Mission Lead für Re:Form ein.

Tiaji, Du warst bis vor Kurzem Diplomatin im Auswärtigen Amt. Du hast damals die Initiative Diplomats of Color mitbegründet und engagierst Dich außerdem weiterhin als Gründerin von DIVERSITRY für mehr Diversität in der Bundesverwaltung. Was führt Dich jetzt zu ProjectTogether?

In meiner Zeit beim Auswärtigen Amt habe ich mich zuletzt mit Menschenrechtspolitik und humanitärer Hilfe auseinandergesetzt und dabei immer wieder bemerkt: Der Schlüssel zu echtem Fortschritt liegt in der Innovation unserer Verwaltungsprozesse. Die deutsche Politik kann nur dann richtig wirken, wenn die zugrunde liegenden Abläufe reibungslos funktionieren. Durch mein Engagement bei Diplomats of Color und DIVERSITRY wurde mir klar, dass tiefgreifende Veränderungen in der Verwaltung möglich sind – wenn sie mit den richtigen Impulsen und der notwendigen politischen Unterstützung angegangen werden.

Mein Wechsel zu Re:Form ist also der logische nächste Schritt auf diesem Weg. Gemeinsam mit Verwaltungspionier:innen auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene wollen wir dringend benötigte und richtungsweisende Veränderungsprozesse vorantreiben.

 

Bei Re:Form geht es um nichts Geringeres als eine „Staatsreform”. Was sollte diese Deiner Meinung nach ausmachen?

Ich finde, eine Staatsreform muss im Kern von den Personen initiiert und getragen werden, die sie am meisten betrifft: von den Mitarbeitenden der Verwaltung selbst. Oft werden externe Beratungsunternehmen hinzugezogen, die von außen Lösungen präsentieren, die zwar gut gemeint, aber nicht immer passgenau oder nachhaltig sind. In der Verwaltung selbst entwickelte Lösungen finden ein hohes Maß an Akzeptanz und Engagement, weil sie die tatsächlichen Bedürfnisse widerspiegeln und sich unmittelbar umsetzen lassen.

Veränderung beginnt von innen heraus. Das zeigt auch meine Erfahrung: Als ich gemerkt habe, dass die Beschäftigtenstruktur in der Bundesverwaltung die gesellschaftliche Diversität noch nicht ausreichend widerspiegelt, konnte ich, gerade weil ich selbst Teil dieses Systems war, das Problem nicht nur genau identifizieren, sondern auch Strategien für den Wandel entwickeln. Ich habe gesehen, welche Akteur:innen innerhalb der Verwaltung besonders offen für Veränderungen waren, wer die wichtigsten Ansprechpersonen sind und wie man eine Bewegung aufbaut, die stark genug ist, um strukturelle Veränderungen anzustoßen und politische Entscheidungsträger:innen zu überzeugen. Collective Action funktioniert also auch im Staat!

Quotation

Durch mein Engagement bei Diplomats of Color und DIVERSITRY wurde mir klar, dass tiefgreifende Veränderungen in der Verwaltung möglich sind – wenn sie mit den richtigen Impulsen und der notwendigen politischen Unterstützung angegangen werden.

Tiaji SioMission Lead Re:Form
ProjectTogether

Inwiefern war diese Erfahrung für Deine Arbeit bei Re:Form hilfreich?

Ich habe immer wieder festgestellt, dass die Herausforderungen in der Verwaltung oft sehr praktischer Natur sind. Beispiel: Mitarbeitende im öffentlichen Dienst sind damit beschäftigt, Dokumente auszufüllen, auszudrucken und entlang fest vorgeschriebener Beteiligungsketten in Gittermappen zu verteilen – statt sich auf Ihre Kernarbeit zu konzentrieren. Re:Form kann hier Impulse setzen. Denn wir sprechen nicht nur über solche Probleme, sondern zeigen auch konkret auf, wie sie anderswo erfolgreich gelöst wurden. 

Wenn in einer Kommune beispielsweise bereits ein digitales Tool oder eine Methodik entwickelt wurde, die bürokratische Prozesse vereinfacht und sich bewährt hat, dann setzen wir uns dafür ein, diese Lösungen sichtbar zu machen und zu verbreiten. Mit unserem „Bewährt vor Ort”-Siegel zeichnen wir solche innovativen Kommunen aus und ermutigen andere, erfolgreiche Ansätze zu übernehmen. 

 

Neue Lösungen wollen viele in der Verwaltung umsetzen – was ist für Dich das Entscheidende für die erfolgreiche Umsetzung?

Das ist die tiefgreifende Auseinandersetzung mit unseren aktuellen Arbeitsweisen. Wir müssen kritisch hinterfragen, welche Prozesse beibehalten werden sollten und welche nicht. Es geht darum, zu identifizieren, was sich grundlegend ändern muss und wie wir unsere traditionellen, liebgewonnenen Abläufe so anpassen können, dass sie uns nicht in ineffizienter Selbstbeschäftigung festhalten. Dieser Veränderungsprozess hat weniger etwas mit technischem Know-how zu tun, sondern bedeutet vor allem auch eine Veränderung in den Köpfen. Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, wie schnell wir uns an neue Situationen anpassen können, indem wir neue Tools entwickeln und kontinuierlich evaluieren. Wir waren gezwungen, uns zu verändern und etablierte Prozesse ständig anzupassen.

Die entscheidende Frage ist jetzt, wie wir diesen Modus des Experimentierens und der schnellen Anpassung auch unabhängig von akuten Krisensituationen beibehalten können. Vielleicht ist es auch an der Zeit, dass wir andere drängende Herausforderungen – wie die Demokratiekrise, die Klimakrise oder die Repräsentationskrise – mit derselben Dringlichkeit angehen, wie wir es bei der Corona-Pandemie getan haben. Wenn wir Antworten finden wollen, erfordert das eine intensive Auseinandersetzung mit unseren Denkweisen und Handlungen. Die Verwaltung ist der beste Ort, um nachhaltige Veränderungen umzusetzen – denn sie ist beständig. Sie existiert und arbeitet in großen Teilen unabhängig von der politischen Tagesordnung.

 

Welche Rolle spielt dabei die Zivilgesellschaft?

Die Zivilgesellschaft ist eine wichtige Treiberin für Veränderungsprozesse. Re:Form versteht sich als Bindeglied, wir wirken daran mit, gesellschaftliche Bedürfnisse in Maßnahmen für die Verwaltung zu übersetzen. Während meiner Zeit in Harvard habe ich gelernt, wie bereichernd eine größere Flexibilität und personelle Durchlässigkeit zwischen der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und der Verwaltung ist. Die direkte Anwendung neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse im öffentlichen Sektor, die Bereitschaft, neue Ansätze zu testen, und eine größere Offenheit für personelle Impulse von außen sind sehr bereichernd.

Personen, die zwischen den Sektoren wechseln, bringen frische Perspektiven ein und helfen, Dysfunktionalitäten zu erkennen, die von innen heraus möglicherweise nicht mehr wahrgenommen werden. Um das für Deutschland umzusetzen, braucht es daher dringend eine Reform des Personalwesens im öffentlichen Dienst – ein Beamtentum 2.0. 

 

Schauen wir auf Dich als Teil vom Team bei ProjectTogether: Was ist Dir in der täglichen Arbeit wichtig?

Für mich steht im Zentrum meiner Arbeit immer die Frage nach dem 'Warum' – das tiefe Verständnis dafür, warum ich tue, was ich tue. Dieses Bewusstsein gibt meiner Arbeit Bedeutung und Richtung. Es geht mir nicht nur darum, Aufgaben zu erfüllen, sondern einen echten Mehrwert für die Gesellschaft zu schaffen. Diese Sinnhaftigkeit ist meine tägliche Motivation.

Außerdem ist es mir wichtig, von Menschen umgeben zu sein, die mich nicht nur inspirieren, sondern auch den Mut haben, meine Ideen herauszufordern und konstruktive Kritik zu üben. 

Ein ehrlicher, offener und vertrauensvoller Umgang miteinander ist die Grundlage für eine solche Arbeitsumgebung. Dies schließt auch den Raum für Fehler ein. Es geht dabei darum, in eine Lernzone zu kommen – ein Gleichgewicht, in dem wir uns kontinuierlich selbst reflektieren, aus unseren Erfahrungen lernen und gleichzeitig zielstrebig unsere Mission verfolgen. 

 

Liebe Tiaji, herzlichen Dank für das Gespräch!

 

Das Interview führte Johannes Tödte. 

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