Fünf Jahre #WirVsVirus

Fünf Jahre ist es her, dass wir gemeinsam mit vielen weiteren Partner:innen Open Social Innovation im Rahmen von #WirVsVirus erprobt haben. Innerhalb weniger Tage entstand der bis dahin größte digitale Hackathon der Welt – ein Prozess, in dem Staat, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft gemeinsam Lösungen entwickelten. Was wir aus #WirVsVirus über die demokratische Zusammenarbeit zwischen Staat und Zivilgesellschaft gelernt haben – und wie wir diese Erkenntnisse heute in unserer Arbeit für eine zukunftsfähige Demokratie und eine mutige Staatsreform umsetzen – lest ihr in diesem Artikel.

Im März 2020 ist COVID-19 in Deutschland angekommen. Das öffentliche Leben stand still, der Alltag war auf den Kopf gestellt – und doch zeigte sich gerade in diesem Moment, wozu unsere Gesellschaft mit ihrem Ideenreichtum in der Lage ist: Innerhalb weniger Tage initiierten sieben zivilgesellschaftlichen Organisationen – Code for Germany, Impact Hub Berlin, Initiative D21, ProjectTogether, Prototype Fund, Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland und Tech4Germany – ehrenamtlich unter der Schirmherrschaft der Bundesregierung den #WirVsVirus-Hackathon.

Das anschließende sechs-monatige Umsetzungsprogramm wurde finanziell durch das Bundeskanzleramt, das Bundesministerium für Bildung und ForschungGoogle Deutschland, das Vodafone Institut, die KfW Stiftung, die BMW Foundation Herbert QuandtSusanne Klatten sowie Janina und Benjamin Otto gefördert. Weitere Umsetzungspartner waren zudem die Hertie-Stiftung, Urban Impact und startnext.

 

Kollektive Lösungsentwicklung in der Krise

Mehr als 28.000 Teilnehmer:innen kamen digital zusammen und haben gemeinsam an rund 1.500 Lösungen für die vielfältigen Herausforderungen in der Pandemie gearbeitet: von digitalisierten Prozessen in Gesundheitsämtern bis hin zur Prävention häuslicher Gewalt. In einem sechsmonatigen Umsetzungsprogramm entwickelten rund 150 Projektteams ihre Lösungen weiter.

Was damals wie ein einmaliges Krisenexperiment wirkte, wurde zu einem Prototyp für ein neues Wie in der Zusammenarbeit zwischen Staat, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Ein Ansatz, der uns bei ProjectTogether bis heute prägt – und der zeigt, wie Open Social Innovation (OSI) zu mehr demokratischer Teilhabe und kollektiver Lösungsfähigkeit beitragen kann. Doch was macht OSI-Prozesse besonders wirksam?

 

 

Open Social Innovation, Missionsorientierung und Partizipation

OSI steht für einen breiten Beteiligungsprozess (Open), der gesellschaftliche Herausforderungen (Social) mit neuen Ansätzen oder durch die Weiterentwicklung bestehender Lösungen (Innovation) angeht (vgl. Mair et al., 2022 und #WirVsVirus-Website, 2020).

Quotation

Open Social Innovation represents an opportunity to rethink the relationship between the government and its citizens. Democracy is more than the possibility to cast one's vote in an election.

Aus dem Policy Brief von Mair et. al (2021).

Prof. Dr. Johanna Mair, Hertie School, und Prof. Dr. Thomas Gegenhuber, Johannes Kepler Universität, haben in ihrer wissenschaftlichen Begleitung von #WirVsVirus analysiert, welche Faktoren zum Erfolg von OSI-Prozessen beitragen:

 

  • Missionsorientierung: Unterschiedliche Akteur:innen aus Zivilgesellschaft, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft sind beim #WirVsVirus-Hackathon für ein gemeinsamen Ziel zusammengekommen: Lösungen für die Herausforderungen der Pandemie zu entwickeln. 
  • Partizipatives Design: Jede Person mit Internetzugang konnte beim #WirVsVirus-Hackathon Herausforderungen und Lösungsideen einreichen. Auch die Bundesregierung brachte Herausforderungen ein, die sie vorab identifiziert hatte. Das Organisationsteam bündelte die mehr als 2.000 Vorschläge in 48 konkrete Themen, zu denen sich die Teilnehmer:innen schnell in Teams zusammengefunden haben.
  • Perspektivenvielfalt aus der Gesellschaft: IT, Sozialwirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft – Menschen aus unterschiedlichen Sektoren brachten ihr Know-how beim #WirVsVirus-Hackathon ein. So ist eine neue Form der Teilhabe und der Verantwortungsübernahme entstanden.
  • Lernen über Sektorengrenzen hinweg: Durch die gemeinsame Arbeit an Lösungen haben die Teilnehmer:innen von- und miteinander gelernt: über agile Methoden, bürokratische Hürden, soziale Bedarfe und technologische Möglichkeiten. 

 

Was bleibt: vom Krisenmodus zur Methode

#WirVsVirus war ein Experiment, das bewiesen hat: Wenn Staat und Zivilgesellschaft ko-kreativ zusammenarbeiten, entstehen Lösungen, von denen die gesamte Gesellschaft profitiert. Ein Beispiel für die nachhaltige Wirkung dieses Ansatzes ist die App Gewaltfrei in die Zukunft“ und die Angebote des gleichnamigen Vereins. Betroffene von häuslicher bzw. partnerschaftlicher Gewalt erhalten mit der Anwendung­ niedrigschwellige Hilfe, Unterstützung und Schutzangebote unmittelbar an den Tatort. Außerdem ermöglicht Gewaltfrei in die Zukunft gerichtsunterstützende Dokumentation.

Die Idee gab es schon vor dem #WirVsVirus-Hackathon, doch erst im Zusammenspiel mit Expert:innen aus Zivilgesellschaft und Politik wurde sie zu einem breit getragenen und inzwischen staatlich geförderten Pilotprojekt, in Berlin sowie in den Regionen Hannover, Oldenburg und Braunschweig.

Quotation

Bei Open Social Innovation geht es um ein neues Wie in der Zusammenarbeit. Wenn Zivilgesellschaft und Staat ko-kreativ zusammenarbeiten, entsteht mehr, als sie jeweils alleine erreichen können.

Henrike SchlottmannCo-Geschäftsführerin
ProjectTogether

Wie ging es nach #WirVsVirus weiter? Ein Jahr später – immer noch in der Pandemie – ging es bei UpdateDeutschland um eine Vielzahl gesellschaftlicher Herausforderungen. „Raus aus der Krise, rein in die Zukunft“, war das Motto. Entstanden ist daraus beispielsweise UpdateHamburg – ein regelmäßiger Förderaufruf für innovative Projekte im Bereich der sozial-ökologischen Transformation. Das Besondere: Statt rein projektbezogener Einzelmaßnahmen fördert der Hamburger Senat die missionsorientierte Zusammenarbeit von Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wirtschaft – und setzt damit in der Förderlogik auf eines der Prinzipien von OSI.

Auch in die Bundesebene floß OSI ein: So hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung den OSI-Prozess von 10.000 Tage gefördert – unsere Mission für die Mobilisierung von Klimafachkräften. Es zeigt sich: OSI wird zunehmend als ein wirksames Instrument für die kollektive Entwicklung systemischer Lösungen genutzt und gefördert. 

 

Der Staat als aktiver Gestalter

Ein Kernmoment für die breite Beteiligung und die Wirksamkeit bei #WirVsVirus war die aktive Rolle der Bundesregierung. Die Verwaltung war nicht alleine Auftraggeberin, sondern wurde selbst zur Mitgestalterin und Teilnehmerin des Prozesses. Ohne die Bereitschaft der Bundesregierung, den Hackathon anzustoßen und auch selbst an der Umsetzung mitzuwirken, wäre vieles nicht möglich gewesen. Oft erlebten Expert:innen aus der Verwaltung verschiedener Ebenen neue Möglichkeiten im direkten Austausch mit engagierten Bürger:innen.

Quotation

Die Zivilgesellschaft steckt voller Innovationskraft – das hat #WirVsVirus gezeigt. Damit diese Energie ihre volle Wirkung entfalten kann, muss ein gestaltender Staat sie aufnehmen und strukturell verankern. Das ist relevanter denn je. Ein handlungsfähiger Staat arbeitet nicht isoliert, sondern im Zusammenspiel mit Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft.

Philipp von der WippelGründer und Co-Geschäftsführer
ProjectTogether

Damit aus punktuellen Erfolgen struktureller Wandel wird, braucht es eine neue Rolle des Staates. In unserer Allianz für den Staat von morgen, Re:Form, arbeiten wir aktuell mit Verwaltungspionier:innen auf kommunaler, Landes- und Bundesebene über Hierarchien hinweg an mutigen Reformen für unseren Staat: von wehrhafter Verwaltung, über Nachnutzung bis hin zu wirkungsorientiertem Haushalten.

Viele Erkenntnisse aus #WirVsVirus und UpdateDeutschland fließen dabei ein, insbesondere aus der wissenschaftlichen Begleitung durch Prof. Dr. Johanna Mair und Prof. Dr. Thomas Gegenhuber zur Rolle des Staates in systemischer Transformation.: 

  • Früher einsteigen und aktiv umsetzen: Der Staat sollte nicht erst Lösungen übernehmen, wenn sie „fertig“ sind. Er sollte entsprechende Prozesse von Anfang an aktiv mitgestalten – vom Co-Design bis zur Skalierung. #WirVsVirus hat gezeigt, wie das funktionieren kann: Behörden und Verwaltungen waren direkt im Hackathon eingebunden, haben Herausforderungen und Bedarfe identifiziert und passende Lösungen schnell integriert.

  • Koordination und Kooperation: Transformation braucht eine koordinierende Hand, die Prozesse, Akteur:innen und Ressourcen zusammenführt. Der Staat sollte nicht nur Innovationsräume öffnen, sondern sie auch steuern und beschleunigen – gemeinsam mit Akteur:innen aus Zivilgesellschaft und Wirtschaft.

  • Räume und Strukturen für Innovation schaffen: Beispielsweise mit Innovationsagenturen und Labs innerhalb der Verwaltung oder neuen Förderprogrammen, die soziale Innovation in der Breite möglich machen. Nur so kann OSI langfristig zum Standard kollektiven Handelns werden.

 

Strukturen für morgen bauen

#WirVsVirus war mehr als ein Hackathon. Es war ein Beweis dafür, dass Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Staat gemeinsam in der Lage sind, schnell und wirksam auf Krisen zu reagieren – wenn sie sich einer gemeinsamen Mission verschreiben und partizipative Prozesse ernst nehmen. Was wir gelernt haben: In offenen, kollaborativen Prozessen können Lösungen schneller, passgenauer und wirksamer entstehen. 

Dieser Ansatz ist mehr denn je gefragt. Denn systemischer Wandel ist kein Sprint. Er ist eine kollektive Aufgabe, die uns alle angeht. Wir bei ProjectTogether sind bereit, gemeinsam mit Euch, mit der Verwaltung, der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft, diesen Wandel weiter voranzutreiben.

 

Text: Nina Schiegl, Mitarbeit: Johannes Tödte

 

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