„Man muss bereit sein, alte Zöpfe abzuschneiden.“

Er ist tief vertraut mit den Abläufen des politischen Betriebs: Tobias Hans ist Digital- und Innovationspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag des Saarlandes und stand zuvor als Ministerpräsident an der Spitze der saarländischen Regierung. Seit diesem Frühjahr ist er als ehrenamtlicher Senior Advisor bei Re:Form aktiv, der von ProjectTogether initiierten Allianz für den Staat von morgen. Im Interview spricht Tobias Hans über Digitalisierung, die veränderte Rolle von Kommunen, Verwaltungsreformen und über seine Motivation.

Lieber Tobias, neben Deinem politischen Amt engagierst Du Dich nun ehrenamtlich bei Re:Form. Wie kam es dazu?

Vor ein paar Jahren bin ich über UpdateDeutschland auf ProjectTogether aufmerksam geworden. Auch an #WirVsVirus habe ich gute Erinnerungen, damals in der Saarländischen Landesregierung haben wir eine gemeinsame Veranstaltung gemacht. Mein Eindruck war: Das ist eine gesellschaftliche Bewegung von jungen Leuten, die verstanden haben, dass Deutschland vor großen Transformationsaufgaben steht – und Transformation war für mich immer ein wichtiges Thema.

Bei Re:Form geht es um die große Frage nach der Modernisierung unseres Landes. Darum, einen gesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen, so dass Bürgerinnen und Bürger einen besseren Zugang zu ihrem Staat bekommen, zu seinen Dienstleistungen –beispielsweise durch schlanke Prozesse, die nicht auf persönliches Erscheinen, auf Schriftformerfordernisse abzielen, sondern einfach, so wie man es von Apps kennt, staatliche Dienstleistungen und Kommunikation mit dem Staat ermöglichen.

 

Warum läuft es denn so schleppend bei der Digitalisierung in Deutschland?

Wir Deutschen verwechseln Digitalisierung oft mit technischer Infrastruktur. Wir glauben staatlicherseits ganz oft: Nur wenn wir feinstes Glasfaser an jeder Haustür liegen haben, dann erst kann man digitale Anwendungen anbieten – das ist falsch. Estland beispielsweise hatte damals nichts, als es zum digitalsten aller europäischen Länder geworden ist. Das größte Hemmnis aktuell für digitale Anwendungen sind Verordnungen, Normen, und Gesetze, die die digitale Nutzbarkeit nicht vorsehen. Die überall noch davon sprechen, was alles an Schriftform und Präsenzerfordernissen nötig ist. Wenn man mal das alles durchforstet und sozusagen für Digitalisierung bereinigt, könnten wir einen Quantensprung erleben.

Was ist Dir für Deine Rolle bei Re:Form wichtig?

Ich will mich gesellschaftlich engagieren. In meinen politischen Ämtern konnte ich sehr viel bewirken, aber oft nicht in die Tiefe gehen. Mich motiviert, dass ich bei Re:Form an einzelnen Projekten in der Tiefe mitarbeiten kann. Mit meiner Erfahrung habe ich daneben auch eine Ratgeberfunktion und möchte hier immer ansprechbar sein – aber nicht aus dem Off, sondern als Teil eines Teams. Viele können beispielsweise nicht nachvollziehen, wie in unserem föderalen Aufbau in Deutschland politische Prozesse ablaufen. Hier, glaube ich, kann ich einen echten Mehrwert bieten, darauf freue ich mich.

 

Bei ProjectTogether wollen wir Transformation vorantreiben. Welche sind für Dich die größten Herausforderungen unserer Gesellschaft?

Aus meiner Sicht ist das das Entstehen neuer Nationalismen in Europa, bedingt durch eine schwierige globale Situation, viele Konflikte und ihre Auswirkungen auf Europa. Das haben die Ergebnisse der Europawahl, aber auch ganz aktuell die Wahlen in Frankreich gezeigt. Das macht mir große Sorgen, auch in Deutschland ist dieses nationale bis nationalistische Denken verbreitet. Wir müssen dem Rechtsruck begegnen – auch dadurch, dass wir unsere Rolle in einer globalisierten Welt neu definieren. Wir spüren, dass Deutschland von der Globalisierung nicht nur profitiert hat, etwa als Hauptabsatznation. Wir haben auch eine Verantwortung gegenüber dieser Welt – wir müssen uns auf Veränderungen, die durch den Klimawandel bedingt sind, einstellen. Es wird in der Zukunft nicht weniger, sondern mehr Fluchtursachen geben. Und wir haben umgekehrt einen ganz erheblichen Zuwanderungsbedarf in Deutschland.

Diese Notwendigkeiten mit den momentan in der Gesellschaft vorhandenen Schwierigkeiten zusammenzuführen, das ist eine riesige Herausforderung. Die kann man nur anpacken, wenn man das sehr weit gesellschaftlich aufstellt. 

 

Was braucht es, damit die von Dir genannte Transformation gelingt?

Es braucht vor allem eine Veränderungsbereitschaft. Man muss bereit sein, alte Zöpfe abzuschneiden. Das trifft nicht nur auf die Politik, sondern genauso auf die Menschen zu. Oft hat man gewisse Prozesse liebgewonnen und ist damit eigentlich ganz zufrieden und wünscht sich gar keine Veränderung. Mit dem Föderalismus – zu dem ich mich vollumfänglich bekenne – haben wir schon eine sehr aufwändige demokratische Organisation in Deutschland. Wenn wir aber diese aufwändige Struktur aufrechterhalten wollen, dann braucht es auch Transparenz und eine Veränderung bei den Zuständigkeiten und Prozessen.

Zum Beispiel glaube ich, dass die Kommunen als Keimzellen der Demokratie heute nicht mehr vergleichbar sind mit der Kommune wie zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Muss man ihnen dann nicht auch mehr Verantwortungsmöglichkeiten geben, sprich mehr eigene Einnahmequellen? Wie finanziert sich eigentlich unser demokratischer Staat? Auch diese Frage muss noch einmal neu geklärt werden. Das sind sehr harte Themen, aber ich glaube, man kann den Menschen hier durchaus etwas zutrauen.

 

Wie tiefgreifend sind die Veränderungen der letzten Jahrzehnte, gerade bei Kommunen?

Unsere Wirtschaft hat sich komplett geändert. Früher war es so: Jede Kommune hat eine gewisse Grundversorgung, einen Stamm an Gewerbe. Darüber ließen sich Gewerbesteuereinnahmen generieren. Heute ist das völlig anders. Teilweise sind die Orte, an denen Menschen arbeiten, lediglich Werkbänke und die Firmenzentralen sitzen ganz woanders. Deswegen leiden unsere Kommunen unter den Abflüssen von Steuereinnahmen, und alleine durch diese Veränderungen der gewerblichen Struktur in Deutschland hat sich so viel getan, dass es neue Ausgleichsmechanismen braucht.

Gleichzeitig haben die Kommunen aber sehr viel mehr Zuständigkeiten. Sie haben die wesentlichen sozialen Lasten zu tragen, da hat sich gesellschaftlich viel getan durch Binnenstrukturen, durch einen stärkeren Zuzug in die Städte als früher. Das sind Dinge, die in den bestehenden Finanzströmen in Deutschland nicht ausreichend berücksichtigt sind. Oder bei Kita-Plätzen und Schulen: Wenn wir die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ernst nehmen, gibt es hier auch eine Gleichwertigkeit mit Blick auf ärmere Kommunen? Das ist nicht unbedingt eine Frage von Ost und West, sondern das ist eine Frage kommunaler Strukturen.

 

Zu guter Letzt: Welche sind Deine Eindrücke vom Team bei ProjectTogether?

Ich bin super begeistert vom Team. Erstmal finde ich die Räumlichkeiten superschön und kommunikationsfördernd, es macht mir Spaß hier zu sein. Und das Team ist jung und vielfältig und ich glaube, der Spirit, der dadurch entsteht, ist einfach gut. Ich erlebe eine positive Atmosphäre – und das ist nicht selbstverständlich.

 

Lieber Tobias, herzlichen Dank für das Gespräch!

 

Das Interview führte Johannes Tödte. 

Foto: Leander von Thien.

 

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